Im Galopp nach Hause
Aus dem Zenit brennt die Sonne in den Mühlbacher Steinbruch. Nur ein paar Wölkchen ziehen langsam dahin. Die Hitze hat die Steinblöcke und die ganze Atmosphäre im Steinbruch aufgeladen.
Zur Mittagspause suchen die Steinmetze einen schattenspendenden Baum, um darunter ihr Mittagsmahl einzunehmen. Sie öffnen ihre Rucksäcke und sind manchmal auch enttäuscht über das nicht gerade deftige Mittagsgericht.
Manchen Steinhauern wird das Mittagessen in einem Tragekännchen zum Steinbruch gebracht.
Ein Bierfass ist angezapft. Wer 10 Pfennige hat, kann sich einen Krug Bier zapfen. Berthold Schuldt genießt in einem langen Zug den ersten Schluck, während ein anderer Steinhauer den Deckel seines Essensgeschirrs aufmacht und mürrisch gleich
wieder zudeckt mit der Bemerkung: “Scho wiidder Erbiraschnitz un Knepf.“
Zeichnung: Otto Fischer
Missgestimmt bittet er
seinen Arbeitskollegen Schuldt, der bekannt war für seine unterhaltsamen
Erzählungen, doch etwas zum Besten zu geben.
Schuldt ließ sich nicht
zweimal darum bitten.
Anlehnend an Münchhausen,
erzählte er mit ernster Miene folgende Geschichte aus dem Stegreif:
„Durch den Effeldrichwald
führte mein Heimweg, den ich wieder mal nach harter Arbeit anzutreten hatte. Da
kam mir ein völlig neuer Gedanke, einmal schneller als sonst nach Hause zu
kommen, sozusagen im Galopp.
Da hörte ich auch schon ein
Geräusch im Unterholz des Waldes. Zunächst sah ich nur, als ob eine Hand Zweige
und Äste auseinanderbiege.
Ich wollte rufen:ein Reh,
unterließ es aber.
Ohne mich zu bemerken, stand
das Reh plötzlich da. Ich fragte mich:“Soll ich auf dem Rücken des Rehs schnell
nach Hause reiten?“
Unbekümmert setzte das Reh
zu ein paar übermütigen Sprüngen an, blieb dann aber wieder stehen und blickte
mich geradezu auffordernd an. Ob mich seine zierlichen Läufe tragen würden?
Äsend machte es ein paar
Schritte, floh aber plötzlich durch die Büsche. Mit einem mächtigen Satz konnte
ich mich gerade noch auf seinen Rücken schwingen, bevor es in wilder Hatz durch
den Wald ging.
Das Reh lief und lief, so
dass es keine Möglichkeit für mich gab, meinen Ritt, den ich inzwischen sehr
genoss, zu beenden.
Am Bahnwärterhäuschen im „Dreibrunnen“ wurde uns der Bahnwärter gewahr und starrte das seltsame Gespann mit weit aufgerissenen Augen an, begleitet von einer zweistelligen Kinderzahl, die ihr Spiel unterbrach und ebenfalls nicht glauben konnten,
was sich vor ihren Augen abspielte.
Darob in Panik geraten,
stürzte das Tier mitsamt seinem Reiter in einen Wassergraben.
Jetzt erkannte mich der
Bahnwärter und wie vom Donner gerührt stammelte er: “Ja, Berthold, bisch
du`s?“------
Seine Zuhörer, wie oft auch diesmal etwas skeptisch ob seiner überaus regen Phantasie, waren ihm trotzdem dankbar, und als er noch die Bemerkung anfügte, dass Rehe eben mal solche Sachen machen und dieses mit ihm sogar noch bis „Brusel
gschbrunga wär“, waren
auch die „Erbiraschnitz un Knepf“ vergessen und etwas aufgeheiterter wurde die
Arbeit wieder aufgenommen.