Von links: Vater Christian Schuldt, Sohn Berthold, Mutter Katharina, Unbekannter
Da huschten keine Weissbekittelten über den Korridor einer Entbindungsstation: Nein, in einer kleinen Schlafkammer, in der eine Wiege gerade noch Platz fand, erblickte der Neuankömmling mit einem Schrei das Licht der Welt.
Eine Wiege war gerade noch rechtzeitig vom Speicher geholt worden. Sie war uralt, hübsch, blau und rot gestrichen und mit Blumen bemalt.
Zwei Uhr nachts zeigte der mit Goldgravierungen verzierte Wecker an, als dar Knabe seinen ersten Atemzug im elterlichen, kleinbürgerlichen Hause in der Hauptstraße 65 tat.
Es war in einer Kerwewoche, am 21. September 1879. Die Eltern waren: Christian Schuldt, Uhmachermeister, geboren am 28.4.1838 m Grünbühl, Oberamt Neuenstein (Hohenlohe). Die Mutter: Katharina, geb. Lichte, geboren am 25.02.1849
in Stebbach.
Vater, Mutter und Taufpaten schreiten
mit dem neuen Erdenbürger am 10. Oktober 1878 zur evangelischen Kirche.
Um 12.30 Uhr fand die Heilige Taufe statt. Pfarrer Johann Friedrich Konrad Köhnlein sprach die Worte zum Taufbund und taufte das Knäblein auf den Namen "Berthold".
Die Schuldts waren eine kaisertreue Familie. Das alte Gebäude, zwischen Haupt- und Kronenstraße gepresst, in das Bertholdt zur Schule ging, steht heute noch. Diese Schule wurde 1835 erbaut, wollte aber schon zu Schuldts Zeiten nicht
mehr ausreichen. In diesem Schulhaus waren zwei Klassenzimmer und zwei Lehrerwohnungen untergebracht. Es wird berichtet, dass zu dieser Zeit eine hohe Schülerzahl zu unterrichten gewesen sei, und man musste in den Rathaussaal
ausweichen.
Mädchen durften nur sieben Jahre
zur Schule gehen. Als eine respektabte Anstalt konnte diese Schule angesehen
werden.
Üblich war, dass hin und wieder die Schulmeister mit forschen Ton ihre Schützlinge mit der Prügelstrafe bedachten. Auch wurde von den Schulkindern manchmal verlangt, die Hände auf den Tisch zu legen. Das Schulgebet war
obligatorisch.
Wer waren Bertholds Klassenkameaden?
Bauernjungen, Handwerkersöhne, Söhne von Taglöhnern. Standesunterschiede spielte im Unterrichtsgeschehen keine Rolle.
Die "Freizeit" der Kinder damals unterschied
sich doch beträchtlich zu der heutigen Zeit.
Wo und wie verbrachten sie diese Zeit?
Auf dem Felde natürlich.
Mit ihren Eltern zum Arbeiten, zum Mithelfen, sobald es ihre Kräfte erlaubten. Manchmal beklagten das auch die Lehrer, weil die Schulleistungen der Kinder zurückgingen. Die wenige Freizeit verbrachten die Kinder auf der Dorfstraße. Das
war ihr Spielplatz, der zu ihrem Lebensraum gehörte. Trotz der Beanspruchung von zu Hause, widmeten sie sich hingebungsvoll ihren Spielen.
Dieser Spieltrieb war kaum zu bändigen.
Sie waren keine Stubenhocker. Nichts hinderte die Entfaltung ihres Bewegungstriebs. Sie wurden eben in eine Umwelt
hineingeboren, in der sich ihre Spontanität ungehemmt entfalten konnte.
Sie verstanden es immer wieder, sich
dem Zugriff der Erwachsenen zu entziehen und in ihre eigene Welt abzutauchen.
Nur so konnten sich Kräfte entwickeln, die wir bei unseren Kindern heute vergeblich suchen.
Und wie waren die Kinder bekleidet?
Nicht jedes Kind besaß zwei Paar
Schuhe.
Benagelt und mit Absatzeisen versehen,
hatten diese Kinderschuhe ein plumpes Aussehen.
Ihre Kittel waren hochgeschlossen geschneidert und sie trugen lange Strümpfe.
Bedingt durch die damaligen Umstände, waren die Kinder in ihren Ansprüchen äußerst bescheiden. Kleinste Dinge konnte sie erfreuen. Sonntagsgeld hatten sie kaum zu verjubeln. Waren es aber doch manchmal ein paar Groschen
"Sackgeld", so wurde Brause erstanden
und aus der Hand geleckt.
Trotz dieser materiellen Bescheidenheit
dürften die Kinder damals eine behütete und relativ sorgenlose
Zeit erlebt haben.
So ist auch Berthold Schuldt im Dorf
groß geworden: Er war voll intergriert in dieses komplexe Geschehen.
Er wurde von ihm geprägt, und der "Mensch" Berthold Schuldt wäre
ohne diese gestaltenden Einflüsse nicht vorstellbar.
Schon als Heranwachsender wurde er - wie auch seine anderen drei Brüder - zum Musizieren angehalten. Er fiedelte schon mit sechs Jahren.
Die Schuldt-Familie war protestantisch, Vater und Mutter belehrten ihre Kinder in christlichem Sinne. Nach eingehender Unterrichtung durch Pfarrer Ludwig Emil Purpus (Dekan), durften sich die Konfirmanden zum Taufbund bekennen
und ihre Treue geloben.
Was wohl Berthold als Konfirmationsgeschenk
bekommen hat?
Sein Herz pochte vor Erwartung, als
er das Geschenkpapier mit zittrigen Fingern entfernte, und seine Freude
war riesengroß, als eine schöne Taschenuhr mit einer goldenen
Kette zum Vorschein kam.
Es war ein Geschenk seines Vaters, das ihn sein Leben lang begleiten sollte.
"So, Berthold", scherzte sein Vatter,
"jetz waisch a wasd d'Stund gschlaga hat.
Und Ohpünkiichkait kannsch a mit messa."