Der Tagesablauf des schon bejahrten,
aber noch geübten Uhr-
machers Schuldt wiederholte sich fast
auf die gleiche Weise.
Er gehörte nicht zu denen, die
frühzeitig das Bett verließen.
Morgen war bei ihm, wenn er aufwachte
und der Tag in ihm
emporstieg. Das Herdfeuer hat er gerne
selbst angezündet,
wenn Strohwisch und Reisigbüschele
bereitlagen. Frau
Schuldt kochte den Kaffee und verwendete
dazu Malzkaffee mit
Zichorie. Sie hat nicht versäumt,
zur rechten Zeit beim heimi-
schen Bäcker Gerste für Malz
umzutauschen. Da musste sie
nur wenige Pfennige draufzahlen.
Berthold begibt sich zur Uhrmacherwerkstatt
und betrachtet
seine reparierten Uhren, weil er wissen
wollte, ob alle ihren richtigen Gang hatten.
Er kehrt zur Küche zurück,
und seine Miena hat ihm die liebgewor-
dene, gebrannte Mehlsuppe aufgetragen,
die er täglich zu sich nahm.
Es war ein einfaches Frühstück,
aber die Schuldts muss-
ten sich nach der Decke strecken.
Den Bierkonsum zurückzuschrauben,
daran dachte Schuldt nicht. Dieses Ger-
stengebräu schmeckte ihm zu sehr.
Er war kein Trin-
ker, im Grunde trank er sehr maßvoll.
Nur in Gesellig-
keit konnte es hier und da geschehen,
dass er etwas zuviel ins
Glas schaute.
Frau Schuldt soll einmal gefragt worden
sein,
ob sich ihr Mann jemals über Durst
beklagt hat.
"Nein", sagte sie, "er freut sich darüber".
Sein Leben sah Berthold Schuldt als
ein Geschenk
an. Hektik hatte in ihm keinen Platz.
An einem Morgen ist Schuldt, etwas
später als sonst, die Stiege run-
ter gekommen, und seine Frau Miena
sagte zu ihm in fürsorgli-
chem Ton: "Vadder, konnsch scho uffsei?"
Damit wollte sie lediglich andeuten,
daß er ziemlich spät heimgekommen
sei.
Die Schuldts führten eine gute Ehe.
Nun sitzt Berthold Schuldt - korrekt
gekleidet -
in seiner Werkstatt. Ein blaues, länglich,
weißge-
streiftes Bauernhemd hat er an. Das
Kragenknöpfle an sei-
nem Hemd ist ins obere Knopfloch
eingesteckt
und vorbereitet zur Aufnahme des weißen,
gestärkten Kragens,
den Schuldt meistens anlegte, wenn
er den Aufseherdienst an
der Kirchenuhr zu verrichten hatte.
Gegenwärtig sitzt Schuldt
aber noch an der Uhrmacherwerkbank.
Er befasst sich mit der
dem Design damals zeitgemäßer
Wand-, Tisch- und
Küchenuhren, ebenso mit Produkten,
die am Handgelenk tik-
ken. Der Fensterflügel über
seiner Werkbank war leicht geöffnet
und so konnte Schuldt das Tschilb,
Tschilb, der Haussperlinge
hören, die im Laub seines Hausweinstockes
saßen und ihre
Köpfe aus den Flügeln zogen,
weil sie sich wahrscheinlich durch
das Läuten eines Weckers
ängstigten. Doch gleich darauf
hatten sie sich wieder beruhigt.
Berthold Schuldt öffnet ein Schubfach
seiner Werkbank. Er suchte zwar
nach etwas anderem, aber in die Hände
fiel ihm ein Uhrma-
chergedicht. Er überflog nur die
erste Strophe und legte es wie-
der weg.
Im Dort wird eine ungewöhnliche
Geschichte erzählt, die sich
so zugetragen haben soll: Jemand habe
Schuldt im Dorf nach
der Uhrzeit gefragt. Schuldt hätte
aus seiner Westentasche
zwei Uhren gezogen. Der Fragende soll
stutzig geworden
sein, weil er dazu zwei Uhren benötigte.
Verblüfft hörte er Schuldts
Antwort:
"An der einen Uhr fehlt der große
Zeiger,
an der anderen der kleine Zeiger. So
brauche ich eben zwei Uhren".
Ob diese Geschicht von ihm stammt,
ist nicht sicher.
Und wie lautet die erste Strophe des Uhrmachergedichts?
"Ich trage, wo ich gehe,
stets eine Uhr bei mir,
wieviel es geschlagen hat,
genau seh ich's an ihr."
Was aber hat Schuldt in Wirklichkeit
gesagt: Für die Spanne
meines Lebens reicht ihm als wegbegleitender
Zeitmesser,
seine Taschenuhr: "Benützt man
nur eine Uhr,
weiß man immer wie spät
es ist, aber mit zwei
Uhren ist man nie sicher."