"Kannsch du net d' Hand nuff do?"
Leseausflug in die Zeit des Dritten Reiches.
Unser geschätztes Dorforiginal,
er war ein Mann mit Beson-
nenheit, ließ sich von den nationalsozialistischen
Machen-
schaften nicht beeindrucken. In seiner
Nachbarschaft whnte
ein begüterter Bauer, der es sich
leisten konnte, zwei Ange-
stellte, einen Knecht und eine Magd
zu beschäftigen. In politi-
schen Ansichten standen sich die beiden
Nachbarn in krassem
Gegensatz gegenüber. Unter den
Familien wurde aber trotzdem
ein tolerantes Verhältnis gepflegt,
geprägt von Vertrauen und
Hilfsbereitschaft.
Berthold Schuldt fiel aber immer des
öfteren auf,
dass dieses Nachbarhaus Parteigenossen,
auch potentiel-
le, frequentierten. Politisch interessierte
junge Leute beka-
men von diesem besagten Bauern, einem
nationalsozialisti-
schen Vordenker, frühzeitig Gedankengut
des Nationalsozialis-
mus vermittelt. Der Agrarier war ohne
Zweifel Hitler-Anhänger.
Im Dorf war der Mann als reicher Bauer
geachtet. Er
verstarb aus seinem Arbeitsleben heraus.
Die Partei trauerte
um ihr agiles Mitglied. Junge SA-Männer
trugen den Sarg mit
ihrem toten Hitler-Kameraden zu seiner
Grabstätte.
Berthold Schuldt ließ im Dorf
die politische Entwicklung nicht
aus den Augen. Dabei ermöglichte
ihm das stationäre Flaggen-
zeigen an den Häusern eine politische
Einschätzung der Bewohner. An
Schuldts Haus wehte keine Hakenkreuzfahne.
Er bekannte
sich offen zur Sozialdemokratie. Immer
ärgerte er sich,
wenn er an den Häuserfronten Hakenkreuzflaggen
gehisst
sah. Durch die Hauptstraße marschierten
manchmal SA-
Männer. Mitunter waren diese Aufmärsche
von schroffen,
hitzköpfigen Aktionen begleitet.
Die sich so entwickelte Machtfülle
Hitlers und seiner Anhänger
ging dem Uhrmacher Schuldt gewaltig
gegen den Strich.
Schuldt steht, neugierig wie er war,
während eines DEMOZU-
GES mit seiner Familie und Nachbarsleuten
vor seinem Haus.
Da rennt ganz unerwartet ein vom Hitlerismus
Angesteckter -
so Schuldt - aus den sogenannten dichtgeschlossenen
Reihen und grollt auf nass-forsche
Art den Berthold Schuldt an:
"Kannsch du net d' Hand nuff do?"
Das war eine deutliche Aufforderung
zum Hitler-Gruß.
Er musste mit dem rechten, steif ausgestreckten
Arm, bis in
die Kopfhöhe ausgeführt werden.
Schuldt näselte schneller
als ein geölter Blitz: "l'h hon
doch Rheuma on meim rechda Arm."
Zu den umherstehenden Leuten sagte
er hinterher, der Deutsche
Gruß sei mechanisch sehr ungünstig.
Neben Schuldt stehen:
Seine Frau, die Wilhelmine, die Tochter
Erne und Schuldts
Sihnere (Schwiegertochter), die dem
Vater fortissiomo bestä-
tigten: "Ja, des isch wohr, da Vadder
hat ganz args Rheuma."
Berthold Schuldt hat immer deutlich
gemacht, dass er politisch
eben anderer Meinung ist, und dadurch
geriet er oft in einen
Spannungsbereich, aber sein wacher
Verstand und seine
kritische Sichtweise bestärkten
ihn darin, seine humanistisch
geprägte, vom Vater übernommene
Weltanschauung, zu bewahren.
An sie hielt er sich - sein Leben lang.